Philosophische Implikationen der Wirtschaftswissenschaft

Es gibt wenige Wissenschaftsgebiete, die derartig philosophische Grundfragen berühren, wie die Wirtschaftswissenschaften. Das kann man zunächst vor allem daran erkennen, dass beinahe keine Theorie unbestritten ist. Bei jeder gibt es sowohl gute Argumente dafür, wie auch dagegen.

Die Ökonomik bedient sich sehr gerne der Wenn-Dann-Sätze, oder –Denkschemata. Es wird meist versucht, von einigen Prämissen ausgehend eine logische Struktur herzustellen, und daran anschließend Prognosen zu erstellen. Doch wie kommen sie zunächst zu ihren Wenn-Sätzen, zu ihren Prämissen?

Wenn man die Dichotomie zwischen Empirie und Apriorischem aufrechterhalten möchte, so kann man wirtschaftswissenschaftliche Theorien in zwei Gruppen bezüglich der Entstehung ihrer Voraussetzungen aufteilen:
  • Die erste Gruppe versucht ihre Grundlagen deduktiv aus apriorischen Sätzen abzuleiten. Das heißt, manche Sätze werden entweder als Tautologien vorformuliert (z.B.: „Der Mensch versucht immer nur, seinen Nutzen zu maximieren“), oder sie werden der Vernunft, der Logik oder auch aus göttlicher Eingebung entnommen.
  • Die anderen wollen empirische Beobachtungen herannehmen, wie zum Beispiel biologische, kulturelle oder geschichtliche Fakten, und diese als erste Annahmen verwenden (z.B.: „Man kann einen Zusammenhang zwischen Ungleichverteilung des Reichtums und Anzahl der Gefängnisinsassen erkennen“).

Egal, ob die Voraussetzungen apriorisch getroffen (zb. der homo oeconomicus) oder nach empirischen Untersuchungen festgesetzt werden, meist wird eben dann eine logische Abhängigkeit anderer Ereignisse oder Folgerungen konstatiert. „Wenn dieses oder jenes passiert, dann wird das und das geschehen.“ Oder umgekehrt: „Das ist geschehen und der Grund war dieses.“ Deswegen lieben die Ökonomen auch die Mathematik, welche ihnen ein Weltbild zu vermitteln hilft, das in eine Gleichung hineinpasst. Egal, ob Zeit in dem Modell eine Rolle spielt oder nicht, alles lässt sich auf eine Formel bringen.

Das Problem an der Sache: Das Neue lässt sich nicht aus der Vergangenheit ableiten. Sowohl Regeln, als auch Verhaltensmuster ändern sich. Gerade technische Neuerungen haben oft große Auswirkungen auf Verhaltensweisen.

Weiters: Wenn eine Theorie bekannt wird, so hat sie Auswirkungen auf die Handlungen der sie betreffenden Menschen. Egal, ob self-fullfilling oder sich-selbst-aufhebend. Irgendwas passiert in der Welt, sobald die neue Theorie da ist. Es ist alles in Bewegung, der Fluss fließt weiter und auch die Menschen verändern sich. Und gleichzeitig auch nicht. Die Wenn-Dann-Beziehung mag in naturwissenschaftlichen Fächern gelten („Wenn ich den Stein loslasse, so fällt er zu Boden“), in den wirtschaftswissenschaften ist sind die beobachteten Objekte immer andere Menschen, bei denen ein Sprechen-Über immer auch ein Sprechen-Zu ist. Diese Objekte können die Theorien auch verstehen und dementsprechend reagieren.

Das erkenntnistheoretische Problem ist ein sehr großes bezüglich ökonomischer Fragestellungen. Die meisten Ökonomen legen jedoch ihre Voraussetzungen nicht offen. Sie geben nicht zu, zu welcher der beiden obigen Gruppen sie gehören. Stillschweigend übernehmen sie apriorische und a posteriorische Grundlagen und vermischen sie nach Gutdünken.

Es ist außerdem immer wieder überraschend, wie falsch Autoren zitiert werden. Die Originalwerke zu lesen lässt einen oft erstaunen, wie sich Theorien durch die Rezeptionsgeschichte hindurch verändern können. Dem Leser sei empfohlen, Bücher von Hayek oder Mises im Original zu lesen. Beide geben zum Beispiel zu, dass für manche Gesellschaftsgruppen, wie alte Menschen, ein staatliches Umverteilungssystem gebraucht wird – was von einigen zeitgenössischen Vertretern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie bestritten wird, unter Berufung auf die erwähnten Autoren. Wie beim Spiel „Stille Post“, bei dem einer dem anderen was ins Ohr sagt und am Ende etwas ganz anderes herauskommt. So ist das erkenntnistheoretische Problem auch dadurch bedingt, dass schriftliche Erkenntnis, wenn sie widergegeben wird, ebenso der persönlichen Interpretation unterworfen wird, manche Dinge bewusst oder unbewusst weggelassen und andere hinzugefügt werden.

Auch von der Fragestellung her berühren die Wirtschaftswissenschaften nur allzu oft philosophische Grundfragen, ohne dies jedoch offen zuzugeben: Was ist überhaupt das gute Leben? Was ist der Sinn, was ist das Ziel des Lebens? Was ist Arbeit? Was ist Gerechtigkeit? Was wollen wir, was sollen wir? Wirtschaftswissenschaften geben oft vorschnell Antworten auf diese Fragen.

Schließlich geht es auch um Macht. Machverhältnisse haben Einfluss auf die ökonomische Theorie. Die herrschende Lehre wird von den Gewinnern geschrieben. Und die Gewinner ändern sich ständig. So kann man ruhig konstatieren, dass ökonomische Machtverschiebungen auch zu veränderter Theoriebildung führen. Wie finanzielle Mittel zu direkter wissenschaftlicher Beeinflussung führen können, kann man in diesem Video sehen:

Das Verhältnis von Macht und ökonomischer Theorie habe ich auch ausführlicher in meiner zweiten Diplomarbeit behandelt.

So ist die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften eine der Missverständnisse, eine der Ideologien und der radikalen Wortgefechte und ja, auch eine des Unwissens und sogar eine der Manipulation. Fundamentalisten sind überall anzutreffen. Und oft scheinen diese nicht einmal zu merken, auf welch unverrückbaren Standpunkten sie stehen. Weil sie sich nicht ihrer philosophischen Grundlagen bewusst sind. Wegen der philosophischen Implikationen, inklusive der Gebiete Macht, Erkenntnistheorie, Ethik und Logik.

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