Wie man mehr ausgibt, als man einnimmt...

Spätestens seit dem seichten Buch Investment Punk: Warum ihr schuftet und wir reich werden glauben wir zu wissen, was die ökonomischen Grundprinzipien sind. Auf Seite 30 schreibt Hörhan die nach seinen Worten "Grundregel eins" auf:
"Man muss auf Dauer mehr einnehmen, als man ausgibt."
Dies scheint eines der Grundprinzipien unseres Wirtschaftens zu sein. Doch warum eigentlich? Und: Für einige Wirtschaftsteilnehmer scheint das nicht zu gelten.
Ich möchte hier erstens dieses Prinzip hinterfragen. Zweitens möchte ich die Frage stellen, wie es möglich sein kann, mehr auszugeben, als man einnimmt.

Jeder von uns möchte mehr aus dem Wirtschaftssystem bekommen, als er hineinsteckt.
Als normaler Angestellter vergleicht man seine Ausgaben für Miete, Essen, Auto usw. mit seinem Gehalt. Wenn die Ausgaben höher sind, wird man ärmer. Da man auch sparen möchte, versucht man mehr einzunehmen, als man ausgibt und einen Teil zur Seite zu legen.

Unternehmen handeln genau so. Zwar können sie für kurze Zeit einen Verlust einfahren, was ihre Bilanzsumme schmälert. Tun sie das allerdings zu lange, müssen sie Konkurs anmelden. Das Ziel der meisten Unternehmen ist es jedoch, Gewinn zu erwirtschaften, also ebenfalls die Umsatzerlöse größer als die Ausgaben für Personal, Maschinen, Distribution usw. ausfallen zu lassen. Nur so lassen sich viele überhaupt für eine Unternehmung hinreißen. Dass ihr Risiko des Konkurses mit einem möglichen Gewinn kompensiert wird.

Lange Zeit wollten uns viele Ökonomen weißmachen, dass dieses Prinzip für Staaten nicht zutrifft. Staaten könnten mehr ausgeben, als sie einnähmen.
Das ist teilweise richtig. Es stimmt, dass ein Staat in dem Sinn nicht in Konkurs gehen kann, weil kein geordnetes überstaatliches Konkursverfahren existiert. Dazu müsste es einen überstaatlichen gesetzlichen Rahmen geben, der verbindlich so nicht vorzufinden ist. Bei einem Konkurs eines Unternehmens werden die Aktiva verkauft und durch den Erlös versucht, die Gläubiger zu befriedigen. Auch eine Privatperson kann Privatkonkurs anmelden. Bei einem Staat kann man die Aktiva nicht verkaufen weil das staatliche Territorium unantastbar ist. Man kann ebenso wenig alle Staatsbürger aus dem Land werfen, denn wo sollen diese hin? Das staatliche Konkursverfahren existiert deshalb nicht, weil es keinen anerkannte überstaatliche Macht gibt, die dieses regeln könnte.
Was jedoch nicht stimmt, ist das Staaten nicht zahlungsunfähig werden können. Wenn niemand mehr einen Kredit gibt, also keine Staatsanleihen mehr gekauft werden, so kann der Staat seine Zinsen auf seine Staatsschuld nicht mehr begleichen und wird zahlungsunfähig. Staaten können, seit sie unabhängige Zentralbanken haben, auch nicht mehr selber Geld drucken. Sie sind eigentlich den anderen Wirtschaftsteilnehmern gleich gestellt im Kampf um knappe Geldmittel. Also gilt ebenfalls für Staaten: Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt.

Die einzige Gruppierung, für die das nicht zu gelten scheint, sind Banken. Diese investieren mehr, als sie einnehmen. Früher dachte man, Banken nehmen von den Sparern Geld ein und vermitteln dieses an Kreditnehmern. Heute weiß man, dass das nicht stimmt.
Dadurch, dass sie mittels Bilanzverlängerung bei jeder Kreditvergabe das zu verborgende Geld aus dem Nichts schaffen, verborgen sie Geld, dass sie nicht haben. Und das wirkliche Risiko tragen sie auch nicht, denn jeder Kredit ist besichert. Kann der Kreditnehmer nicht zahlen, wird sein Haus verpfändet, versteigert und die Bank bekommt den Erlös. Eine Bank muss also, in Geldeinheiten gerechnet, nicht so viel einnehmen, wie sie ausgibt. Das kommt daher, weil sie die Schafferin dieser Geldeinheiten ist.
Zwar ist die EZB die Schafferin von sämtlichen legalen Zahlungsmitteln. Da jedoch das von Geschäftsbanken geschaffene Geld, die Guthaben, heute ebenfalls zum Beispiel zur Begleichung der Steuerschuld verwendet werden können, haben sie den ökonomischen Status von Geld erlangt. Das Geldvolumen, das durch die Geschäftsbanken geschaffen wird, ist viel größer als das der EZB, weshalb die Geschäftsbanken auch mehr Zinsen eintreiben können. Die wirklichen Schafferinnen der Geldeinheiten sind also Geschäftsbanken, die in großen Mengen mehr ausgeben, als sie einnehmen.

Ich möchte die Frage auf eine noch höhere Abstraktionsebene tragen: Wie kann man mehr ausgeben, als man einnimmt? Eigentlich ist dieses Prinzip ja nur deshalb in der Welt, weil es so etwas wie eine auf Zahlen beruhende Bewertung der Welt gibt. Wir bewerten unsere Welt mittels Zahlen. Wenn wir im Plus sind, haben wir mehr für andere gearbeitet als andere für uns. Wobei sich dieses mehr immer nur auf die relativ willkürliche Bewertung der Arbeit über Zahlengrößen, sprich Preisen bezieht. Man könnte auch sagen: Wir haben teurer für andere gearbeitet, die anderen billiger für uns. Oder anders: Uns wurden mehr Einheiten zugesprochen als wir anderen zugesprochen haben.

Das ins Minus gehen ist eine komische Sache. Es ist nur etwas, was zwischenmenschlich gilt. Kann man bei sich selber Schulden haben? Es ist ein Gedanke, der Schulden bezeichnet. Sieht man sich nur die Produktion oder die Natur an, gibt es kein Minus. Ein Witz kann das verdeutlichen: Im Bus sitzen drei Menschen. Es steigen fünf Menschen aus. Bei der nächsten Station steigen zwei Menschen ein und niemand sitzt mehr im Bus. Sieht man sich nur Materie an, kann es kein Minus geben, denn was ist ein negativer Gegenstand?
Schulden und Guthaben sind also Gedanken, die manifestiert in Papierscheinen, Aufzeichnungen oder elektronischen Bits anschaubar werden.

Das Geldsystem hat die eigenartige oder auch bewundernswerte Eigenschaft, dass sie alle verschiedenen Gegenstände dieser Welt auf eine Zahlenwelt zusammenführt.
Wenn man einen Gegenstand oder eine Dienstleistung von jemandem anderen bekommt, dann wird dieser Gegenstand meist mit einer Zahl verbunden. Wie diese zustandekommt, ist unterschiedlich. Meist wird nachgesehen, wieviel vorangegangene Personen veranschlagt haben (Siehe dazu auch den exzellenten Artikel: "Weshalb ist ein Haarschnitt für Damen teurer als einer für Herren?"). Oder es gibt derjenige, der den Gegenstand hergibt, diese Zahl vor und man kann sich nur entscheiden, ob man den Gegenstand zu dieser Zahl nimmt oder nicht. Manchmal kann man darüber verhandeln. Wenn man den Gegenstand nicht sofort bezahlt, also die veranschlagte Summe in Geld begleicht, dann ist man mit dieser Zahl bei der anderen Person im Minus. Man muss schauen, dass man bei einer ganz anderen Person ins Plus kommt, um mit diesem Plus das Minus aufzufüllen.
Theoretisch könnte man all dies auch ohne Banken erledigen. Ein Vorschlag, der mir sehr gut gefallen hat, war das Thanksbook! Dieses stellt einfach ein Verrechnungssystem dar, das nur aufzeichnet, wer im Minus und wer im Plus ist.

Derzeit erfüllen Banken diese Aufgabe. Banken machen jedoch noch mehr. Denn sie handeln nicht mit Gegenständen, sondern mit den Einheiten, die zur Bezahlung der Schuld dienen. Diese schaffen sie aus dem Nichts. Sie wollen dann jedoch mehr Einheiten zurück. Sie wollen, dass der Kreditnehmer hinausgeht und irgendwie die selbe Art von Einheit erlangt. Er kann sie nur bekommen, wenn er zum Beispiel eben einen Gegenstand bewertet, das heißt ihm einen Preis gibt, und dann hofft, dass ein anderer Teilnehmer diesen Gegenstand möchte und ihm dafür die nötigen Einheiten gibt, die wiederum nur aus dem Nichts durch einen Kredit geschaffen worden sind.

Banken verlangen Zinsen, wenn man im Minus ist. Eigentlich unlogisch, wenn man sich überlegt, dass ins Minus gehen nur heißt, dass man der Gesellschaft in Zahlen höher bewertete Gegenstände entnommen hat, als dieser gegeben. Und zwar der produzierenden Gesellschaft, abseits der Banken. Wir haben also ein System, in dem jeder mehr Einheiten erlangen möchte, als er hergibt. Weiters entstehen diese Einheiten immer nur in einer Schuld bei den Banken, die ebenfalls mehr Einheiten zurückwollen, als sie schaffen. Alle wollen mehr Einheiten aus diesem System pressen, als sie hineingeben. Und mittels dieser Einheiten bewerten wir unsere Welt und verteilen unsere Arbeitsprodukte.

Vor diesen Reflexionen wird die Aussage "Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt" geradezu abstrus. Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt?!
Wie würde denn eine Welt aussehen, wo das nicht gilt?

Um nicht mehr ins Plus oder Minus gehen zu können, also mehr ausgeben zu können als man einnimmt, müsste man aufhören, die Welt in Zahlen zu bewerten. Es dürfte nicht mehr die Quantität im Mittelpunkt stehen sondern die Qualität. Man müsste einfach gerne geben und ebenso gerne nehmen. Man dürfte nicht mehr um Preise verhandeln. Man müsste andere Wege finden, um Verteilung zu organisieren. Das Thanksbook ist ein erster Schritt, aber der Fehler liegt noch immer in den Einheiten, in der Zahl.

Bleibt nur noch die Frage: Wie würde der nächste Schritt aussehen?

Kommentare

  1. Danke für die konstruktive Resonanz! Habe versucht den Pass zu erlaufen :)

    -> http://christianapl.wordpress.com/2011/05/02/das-thanksbook-was-es-konnen-sollte/

    Liebe Grüße

    Christian Apl

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