Eine der
häufigsten Fragen, die im Zusammenhang mit Polyamorie gestellt wird, ist die nach der Eifersucht. "Ich wäre viel zu eifersüchtig dafür" ist eine oft getätigte Aussage. Andere sind überrascht darüber, wenn man Eifersucht als polyamorer Mensch zeigt und nehmen es als vermeintlichen Beweis dafür, dass Polyamorie "nicht funktioniert". Aber wie verhält es sich mit Polyamorie und Eifersucht?
Ist Eifersucht schlecht?
Mögliche Antworten auf diese Frage werden von polyamor lebenden Menschen vermutlich genau so
vielfältig ausfallen, wie es die
Konzepte von Polyamorie selber tun. Manche werden Eifersucht
verdammen, andere
verdrängen und wiederum andere sie als völlig
normal hinstellen. Ich persönlich würde
Eifersucht als Chance sehen. Und als diese kann man sie nutzen oder auch nicht. So gesehen würde ich sie
weder als
gut,
noch als
schlecht bezeichnen. Aber was ist Eifersucht überhaupt?
Was ist Eifersucht?
Eifersucht wird oft als
Gefühlsbündel erfahren. In diesem können Gefühle von
Angst,
Minderwertigkeit,
Verlustangst,
Neid oder gar
Gier enthalten sein und in unterschiedlicher Intensität auftreten. Insgesamt wird Eifersucht weder von der Person selber, bei der sie auftritt, als auch bei der Person oder den Personen, auf die sie sich bezieht, als positives Gefühlsbündel bezeichnet werden. Es ist
unangenehm, wenn der Partner oder die Partnerin eifersüchtig ist. Und gerade in der Polywelt sind Eifersuchtsszenen oft
verpönt oder zumindest
ungern gesehen.
Eifersucht als Lehrmeister
Dabei kann Eifersucht ein
großartiger Lehrmeister sein. Wie das möglich ist, möchte ich anhand meiner
persönlichen Erfahrungen beschreiben:
In meiner ersten
nicht-exklusiven Beziehung war ich
sehr eifersüchtig. Wenn meine Partnerin sich mit jemand anderem traf, ging ich durch
fast alle menschlichen Emotionen: Angst, Wut, Trauer, das Gefühl, auswechselbar zu sein, das Gefühl, nicht genug zu sein,... Aber
auch positiv besetzte Gefühle wie Freude, Liebe und eine tiefe Verbundenheit waren ab und an zu spüren.
Gedanken wie "Was, wenn er viel toller ist als ich?" oder "Wird sie mich jetzt verlassen?"gingen durch meinen Kopf- generell
großes Kopfkino mit tausend Vorstellungen.
Wenn ich mit meiner Partnerin anschließend darüber redete, fand ich es zunächst schwer, auch Details zu hören. Aber zumindest das Kopfkino konnte damit ein wenig beruhigt werden. Mir persönlich half es,
alles zu erfahren, auch wenn es teilweise
weh tat.
Das Gute ist, dass man lernen kann,
mit Eifersucht umzugehen.
Erstens hilft es, wenn Eifersucht auftaucht, sie
einfach zu fühlen. Sie ist nunmal als
innerer Fakt da. Nicht hilfreich ist es, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken. Sie zu fühlen und anzunehmen half mir im ersten Schritt.
Im
zweiten Schritt half mir, meine
Vergangenheit anzusehen. Insbesondere über die
Beziehungen meiner Eltern zu reflektieren half mir enorm, denn da erfuhr ich das meiste über mein eigenes Verständnis von Beziehung, Liebe und Verbundenheit. Durch diese
Selbstreflexion bemerkte ich, dass eigentlich
Verlustangst bei mir der dominierendste Teil war.
Als ich dann
drittens duchschaute, dass ich
keine Angst vor dem Verlust der Beziehung haben musste, war auch meine
Eifersucht entschieden
gemildert.
Wie milderte ich meine Verlustangst?
Wie verlor ich diese Angst? Ich machte mir klar, dass ein
Ende der
Beziehung kein Ende der Welt darstellte. Dass ich glücklich sein konnte,
so lange sie bestand. Dass ich aber schon vor der Beziehung auch
glücklich alleine gewesen war. Dass also
beides gut war:
Fortbestand und
Nichtfortbestand. Egal, was passieren würde, ich könnte damit umgehen.
Daher brauchte ich auch
keine Angst mehr zu haben.
Warum muss man also keine Angst vor dem Verlust haben?
Zunächst, weil man darauf
vertrauen kann, dass man immer am richtigen Fleck zur richtigen Zeit ist. Wenn man es schafft, diese
Verbindung mit dem Urvertrauen herzustellen, so ist viel geholfen. Meine Erinnerung daran, dass ich eigentlich auch
gut alleine sein konnte, ohne einsam zu sein und die
Reflexion über die Scheidung meiner Eltern, der ich als Kind ausgeliefert war, halfen ungemein. Nach diesem ausführlichen Prozess hatte ich nicht nur enorm viel über mich selber und meine Gefühlswelt gelernt, ich war auch gefühlt emotional stärker geworden.
Danke, Eifersucht!
Durch diese Erkenntnisse
konnte ich
zukünftigen Eifersuchtsanfällen viel besser begegnen
(Disclaimer: All dies ist leichter zu beschreiben, als es in der
Realität oft durch zu führen ist. Ja, auch ich tat und tue mir noch immer schwer mit
vielen dieser Probleme!)
Eifersucht als Schmerz
Bei der Eifersucht verhält es sich wie mit einer
schmerzenden Wunde. Natürlich kann man auch bei einer Wunde zunächst
Schmerzmittel nehmen. Auch bei Perioden der Eifersucht kann man sich
Schokolade einwerfen, sich in eine warme Badewanne legen oder sich mit anderen Partnern
ablenken. All das ist legitim, genau so, wie es legitim ist, Mittel gegen Schmerzen zu nehmen, falls man sonst ohnmächtig wird.
In weiterer Folge wäre es jedoch natürlich sinnvoll, die
Ursache der Schmerzen zu untersuchen. Genau so, wie man dank des Schmerzes erfährt, dass man blutet und die Wunde behandeln kann, ist es bei der Eifersucht möglich,
Seelenarbeit zu leisten, um
innere Wunden zu entdecken und zu heilen.
Dies kann sowohl für polyamor, als auch monoamor lebende Menschen von Vorteil sein. Doch zurück zur Polyamorie.
Eifersucht in der Polywelt
Selbstverständlich wird Eifersucht in polyamoren Beziehungen verspürt. Selbstverständlich wird viel darüber
diskutiert. Meiner Erfahrung nach gibt es jedoch oft
einen Unterschied: Die Eifersucht wird
nicht als etwas gesehen, das Sache des Partners, des Gegenübers ist. Die Verantwortung über die Eifersucht wird eher
bei sich selbst gesucht. Nicht die Freiheit des Partners wird versucht, einzuschränken durch Fremdgehverbote, sondern viele erkennen, dass die Eifersucht eine persönliche Sache ist, mit der man zunächst selber versuchen sollte, umzugehen. Die Taten des Partners sind eventuell der
Auslöser,
nicht jedoch die
Ursache für Eifersucht, dies kann man sich bewusst machen.
Fazit
Ja, auch in der Polywelt gibt es Eifersucht. Mit ihr umgehen zu lernen und ihre Ursachen zu untersuchen ist eine der
schönsten Erfahrungen, die einem eine polyamore Lebensweise lehren kann. Sie zu verdammen, zu ignorieren oder zu unterdrücken kann man tun, nur wird man sich vieler Erkenntnisse über sich selber, seiner Beziehungsmuster und seiner Weltvorstellungen generell verwehren.
Eine polyamore Lebensweise deshalb nicht zu auszuprobieren, weil man eifersüchtig ist, ist keine Lösung. Denn selbst in monogamen Beziehungen wird sie auftreten und bei weitem nicht den gleichen Erkenntnisraum liefern. Sich aus Angst von der Liebe abwenden, ist nicht empfehlenswert.
Angst war bisher
selten ein guter Ratgeber.