Eine Person beschwert sich über eure Handlung. Die Freundin meint, ihr seid daran schuld, dass es ihr nicht gut ginge. Der Nachbar regt sich auf, dass ihr zu laut seid. Ein Freund meint, ihr habt euch verändert und seid zu egoistisch geworden. Ein Passant beschimpft euch, weil ihr bei Rot über die Ampel gegangen seid.
Die Frage, die sich hier jeweils stellt ist die:
Soll man sich, sein Verhalten und seine Einstellung ändern, wenn jemand anderer nicht im Frieden ist?
Was meint die Crowd?
Stellt man diese Frage an verschiedene Leute, so bekommt man Antworten aus dem ganzen Spektrum. Mögliche Antworten sind:
- “Wieviel Deckung mit meiner wahrgenommenen Realität? Ist die Anforderung berechtigt? Wenn ja, will ich sie erfüllen? Kann ich sie erfüllen?”
- “ Versuchen zu ergründen welche Anteile beide an dieser Unzufriedenheit beisteuern, wie das mit jeweiligen inneren Faktoren (Bedürfnisse, Konditionierung, Ängste, Wünsche und Hoffnungen...) und äußeren Lebensumständen zusammenhängt. Danach erneut betrachten wie in diese Situation gekommen und in welchen Bereichen welche Art von Änderung notwendig ist. Das ganze idealerweise im Gleichgewicht von Kommunikation (zusammen) und Kontemplation (allein)......und Zeichentrickfilme schauen.”
- “ Beim Anderen kann man nichts verändern, bei einem selbst schon.”
Oder auch:
- “Mir hat einmal jemand gesagt, dass man nicht auf der Welt ist, um so zu sein, wie andere einen gern hätten. Ist man selbst unzufrieden, sollte man sich ändern. Bedeutet eine Veränderung seiner selbst nur die Befriedigung des Gegenübers, ist es falsch und man verliert sich in fremden Bedürfnissen.”
- “Ich gebe der regierung die schuld und freue mich das sie sich gerade selbst auflöst 🙃 “
Es herrscht also Uneinigkeit über die Frage, wie man auf die Beschwerden anderer reagiert und Menschen scheinen hier sehr unterschiedliche zu handeln. Manche meinen, man solle sich eher nicht ändern. Andere würden zunächst reflektieren und sich dann schon ändern. Aber wann handelt man anschließend wie? Wenn man nur auf die Bedürfnisse anderer reagiert, dann vergisst man doch sich selbst. Reagiert man gar nicht, so hört man nur auf sich. Was ist die Lösung?
Drei Fragen
Es war Walter Siebert, welche folgende reflektierende Fragen vorschlug, um generell eine Handlung zu bewerten:
- Ist es gut für mich?
- Ist es gut für die andere Person?
- Ist es gut für das Große Ganze?
Gut für mich?
Diese Frage ist meist recht schnell zu beantworten, insbesondere für Egoisten. Eine Handlung muss jedoch nicht unbedingt materiell gut für mich sein. Sie kann auch einfach Spaß machen. Oder das Ziel, das durch die Handlung erreicht wird, kann gut für mich sein. Oder sie ist alleine dadurch schon gut, dass mein altruistisches Mitgefühl befriedigt wird.
Gut für die andere Person?
Das ist oft nicht so leicht zu zu entscheiden. Wenn die andere Person ihren Unmut äußert, so scheint es sie zumindest zu stören. Die Frage ist natürlich, ob die vorgeschlagene Handlung wirklich hilft. Helfe ich der Person wirklich, oder verhindere ich dadurch nicht, dass sie sich andere Wege sucht und somit sich selber helfen lernt?! Und nur, weil es gut für andere ist, muss es nicht gut für mich sein. Wieso sollte man einer Handlungsaufforderung zustimmen, die nur von Vorteil für die andere Person ist?
Gut für das Große Ganze?
Wenn beide vorherige Fragen mit Ja beantwortet wurden, kann man sich auch die generelle Frage stellen: Was ist mit allen anderen Lebewesen? Was ist mit dem System? Diese Frage entspricht am ehesten dem von Kant formulierten kategorischen Imperativ, dass man nur nach der Maxime handeln sollte, von der man auch wollte, dass sie allgemeine Gesetzgebung werden sollte.
Diese Frage stellt auch die Frage nach der Nachhaltigkeit. Ist die Handlung gut für die nachkommenden Generationen? Es kann schön für dich und mich sein, wenn wir zusammen auf Urlaub nach Thailand fliegen. Aber was zerstören wir durch diese Handlung weltweit und für zukünftige Generationen?
Es kann gut für dich und mich sein, wenn wir beide darauf einigen, dass ich schwarz für dich arbeite. Aber für alle anderen ist es schlecht. Unter einem falschen Arbeitsvertrag zu arbeiten kann unmittelbar gut für beide Seiten sein, aber schlecht für alle, die sich an das Arbeitsrecht halten.
Ist die vorgeschlagene Handlung nachhaltig? Ist sie systemgefährdend?
Eine Kombination der obigen Fragen verhindert, dass man über die Bedürfnisse des Gegenübers fährt, und gleichzeitig sich und die Umwelt vergisst.
Buddhistische Wirtschaftsethik
Karl-Heinz Brodbeck, Wirtschaftsphilosoph, stellte in seiner buddhistischen Wirtschaftsethik ebenso eine Kombination obiger Fragen dar. Für ihn bedeutet Altruismus, sein eigenes egoistisches Verhalten zu verringern und das Leiden aller Lebewesen zu reduzieren. Dabei sollte man sich jedoch nicht selber vergessen. Auf Seite 94 in seiner Buddhistischen Wirtschaftsethik schreibt er:
„Für das Wohl aller Lebewesen einzutreten, schließt das eigene Wohl mit ein[…]“
Und auf Seite 83:
“Altruismus im Sinne der buddhistischen Wirtschaftsethik heißt nicht: Vorrang des anderen Ego-Prozesses vor dem eigenen Ego-Prozess, sondern bedeutet eine Sicht- und Handlungsweise jenseits egoistischer Motive.”
Es geht also nicht darum, das Leiden der anderen Person zu lindern, indem man selber mehr leidet. Es geht generell darum, Egoprozesse zu verringern. Vergisst man sich und handelt nur für andere, so erliegt man dem Helfersyndrom und kann in Richtung Burn-Out gehen. Vergisst man die anderen, so läuft man durch die Welt wie ein Alleinherrscher.
Verantwortung wahrnehmen
Obige Fragen, die Verantwortung über sich selbst, den anderen und über das Große Ganze wahr zu nehmen. Also: Soll man sich, sein Verhalten und seine Einstellung ändern, wenn jemand anderer nicht im Frieden ist? Wäre das gut oder zumindest neutral für mich? Würde das wirklich hilfreich für die andere Person sein? Und wäre es gut für das Große Ganze, also das System, alle anderen Lebewesen und für zukünftige Generationen?
Lautet die Antwort eindeutig Ja, so kann die Handlung stattfinden.
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