Vor kurzem stand ich vor einer moralisch schweren Entscheidung. Ich war gerade im Bewerbungsprozess bei einer großen Firma. Es deutete einiges darauf hin, dass ich genommen werden würde. Der Job schien ideal für mich. Es war eine Tätigkeit, die ich sowieso gerne machte. Das Gehalt war angemessen. Ich hätte viel dem Unternehmen beitragen können. Es wäre also ein guter Deal für beide gewesen.
Doch dann schlich sich eine Frage bei mir ein: Was möchtest du mit deiner Zeit auf diesem Planeten anfangen? Ist es wirklich das, wofür du deine Zeit und Energie einsetzen möchtest? Verändert dieses Unternehmen wirklich die Welt zum Besseren?
3 Fragen für eine moralische Entscheidung
Bei jeder Entscheidung gibt es eine simple Formel, um die Moralität abzuchecken.
- Erste Frage: Ist es gut für mich?
- Zweite Frage: Ist es gut für den anderen?
- Dritte Frage: Ist es gut für die Welt?
Die erste Frage dürfte klar sein. Warum sollte man etwas tun, was schlecht für einen selber ist? Man trägt in dieser Welt nicht nur Verantwortung für alles andere, sondern auch für sich selbst. Nicht auf sich selbst zu achten, ist nicht gut. Du wurdest mit diesem Leben, deinem Körper und deinen Gaben beschenkt, daher solltest du auch auf sie achten.
Die zweite Frage ergibt sich daraus, dass man andere nicht ausnützen sollte. Zwar ist der andere absolut für sich selbst verantwortlich. Dies widerspricht jedoch nicht, dass man nicht auf ihn achten kann. Ein Deal, der nur gut für dich, aber nicht für den anderen ist, ist kein guter Deal.
Die dritte Frage wird oft vergessen. Zu sehr sind wir damit beschäftigt, auf uns und den anderen zu achten, dass wir nicht bedenken, was die Auswirkungen auf andere, Dritte sind. Beeinflussen unsere gemeinsamen Handlungen noch weitere Personen? Was sind die Auswirkungen auf das Gesamtsystem? Leidet die Umwelt?
Was ist das Gute?
Bei all diesen Fragen gibt es ein Problem: Was ist gut? Es ist klar, dass diese Frage keine einfache Antwort zulässt. Denn eine Handlung kann zum Beispiel gut gemeint sein, aber katastrophale Auswirkungen haben. "Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen", wie es so schön heißt. Weiters kann das Gute sehr subjektiv sein und von einer anderen Perspektive sehr negativ sein.
Außerdem kann es sein, dass eine Handlung zwar positive Auswirkungen für einen großen Teil der Menschen oder der Umwelt hat, aber für einen kleinen Teil nicht. Ist dann diese Handlung durchzuführen?
Schließlich, denkt man lange genug nach, wird man bei jeder Handlung und bei jeder Unternehmung Schlechtes finden können. Es gibt keine absolut guten Handlungen.
Aber es gibt Handlungen, bei denen merkt man selber sehr schnell, ob sie sehr schlecht sind, oder ob das Positive überwiegt. Oft geht es auch nicht darum, absolut Gutes zu tun, sondern das Gute als den Polarstern zu sehen und zu versuchen, in diese Richtung zu gehen.
Moralische Zwickmühlen
Nun sind moralische Handlungen oft schwer. Denn es würde, wie in meinem Beispiel, nichts dagegen sprechen, sie durchzuführen. Der Arbeitgeber profitiert, man selber profitiert. Die moralische Zwickmühle entsteht genau dann, wenn moralische, weiterführende Werte einen von einer Handlung, die gut für einen ist, abhalten.
Der Spruch "Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral", stimmt so nicht. Denn wenn, weiterführend, immer der persönliche Vorteil vor anderen Überlegungen steht, so brauchen wir gar keine Moral. Das Besondere an Moral ist ja gerade, dass sie manchmal wichtiger als Fressen sein kann. Es kann sein, dass ein Job einen zwar besser stellen würde, aber es würden Dritte bei der Durchführung leiden. Das heißt, das Schwierige an moralischen Fragen ist ja zumeist, dass sie uns in Zwickmühlen, in Dilemmata bringen. Gerade die spannendsten moralischen Fragen sind die, bei denen zwar der persönliche Profit augenscheinlich wäre, aber uns Werte entgegenstehen.
Bei Whistleblowern steht dies beispielsweise sehr im Vordergrund. Sie haben meist hoch dotierte Jobs, eine gute Karriere und ein bequemes Leben, wenn sie den Mund halten. Doch entschließen sich einige dazu, doch lieber ihrem Gewissen zu folgen, selber Nachteile zu erleiden und dafür das Gute und Richtige zu tun. Warum aber, wenn das Moralische teilweise zum eigenen persönlichen Nachteil sein kann, es überhaupt durchführen?
Warum überhaupt moralisch sein?
Am Ende stellt sich noch die Frage, warum man überhaupt das Richtige tun sollte? Wozu überhaupt diese ganzen Überlegungen?
Wir stehen heutzutage vor einer außergewöhnlichen Situation. Noch nie waren wir als Menschheit auf einem so hohen technischen Stand. Noch nie waren unsere Möglichkeiten so groß, sowohl individuell, als auch als Spezies. Die Entwicklungen bei künstlicher Intelligenz, bei Internettechnologien und bei Telekommunikation gehen rasant voran. Während wir uns technisch in immer höhere Höhen schrauben, kippen unsere Ökosysteme. Wir sind inmitten eines Artensterben. Die letzten Urwälder werden gerodet, es befindet sich im Meer bereits mehr Plastik als Plankton. Während wir also global einen immer größeren Güterreichtum vorfinden, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Während wir versuchen, einen unwirtlichen Planeten wie den Mars zu besiedeln, vernichten wir den wirtlichsten Planeten, den wir haben.
Damit wird die moralische Frage wichtiger denn je. Die Antwort auf die Frage "Warum?" darf heute nicht mehr lauten: "Weil wir es können". Denn dies gefährdet unsere Ökosysteme. Dies gefährdet unsere Freiheit. Dies gefährdet uns selber als Spezies. Wir sind zu potent geworden. Wir haben zu lange auf unseren eigenen Vorteil geschaut und die Welt vergessen.
Das heißt, heute ist die Frage nach der Moral nicht mehr eine reine akademische Frage. Jedes Unternehmen hat Auswirkungen auf diesen Planeten. Jede Handlung ist wichtig. Es reicht nicht mehr sich zu fragen: ist es gut für mich und den anderen? Denn damit vergessen wir das Öko- und Sozialsystem, das uns umgibt. Gerade heute brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Moral ist nicht mehr eine Privatmeinung, sondern wirkt sich über die Handlungen auf alle anderen aus.
Warum ist es also richtig, das Richtige zu tun? Weil es nicht nur um dich geht. Weil es um die Frage geht, in welcher Welt wir leben wollen. Weil wir schlussendlich, wenn wir so weiter machen, uns selbst zerstören. Dass wir viel erreichen können, haben wir bewiesen. Jetzt geht es darum zu erkennen, dass wir auch viel zerstören können.
Aus diesen Gründen habe ich mich entschlossen, den besagten Job nicht anzunehmen.
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