Ist der Zins ein monetäres Phänomen?

Wir kennen Zinsen im normalen Sprachgebrauch eigentlich nur im Zusammenhang mit Geld. Sei es, wenn wir einen kleinen Zinssatz für den Geldbetrag, der auf unserem Sparbuch eingetragen ist, bekommen. Sei es, dass wir Zinsen zahlen müssen, wenn wir einen Kredit bei der Bank aufnehmen. Wir lesen von der EZB, die den Leitzinssatz bestimmt. Aber sind Zinsen wirklich ein monetäres Phänomen? Liegt die Existenz von Zinsen nur daran, dass wir Geld verwenden?

Oft werden Zinsen als der „Preis des Geldes“ benannt. Diese Bezeichnung ist selbstredend irreführend. Denn Preise sind für uns meist nur die Anzahl an Geldeinheiten, die wir für ein Gut hergeben sollen. Doch wie viele Geldeinheiten muss man hergeben, um Geldeinheiten zu erlangen? Bei einem Preis liegt normalerweise kein Zeitverhältnis zugrunde. Es wird Ware gegen Geld gegeben. Umittelbar. Beim Zins wird mittelbar gegeben. Zuerst gibt der eine, und später der andere zurück. Mit ein wenig mehr. Es wird beim Zins auch meist die gleiche Art Gegenstand zurückgegeben, wohingegen beim Preis Geld gegen Ware gegeben wird. Beim Kredit gibt man Geld jetzt gegen Geld später. Diese zeitliche Komponente ist also zentral beim Zins. Ohne Zeit, kein Zins.

Genau auf diesen Aspekt zielt die Zinserklärung der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Für sie ist der Zins abhängig von der Zeitpräferenzrate. Die Österreicher gehen davon aus, dass wir lieber heute konsumieren als morgen. Wenn wir also jemandem etwas borgen, so können wir es heute nicht verwenden, sondern erst wieder, wenn wir es zurückbekommen. Um diesen Zeitfaktor zu kompensieren, wollen wir mehr zurück.

Das klingt abstrakt zunächst eher unverständlich. Aber wenn ich dich fragen würde, ob du mir bis morgen 10€ borgst, so hättest du vermutlich kein Problem. Wenn ich dich fragen würde, ob ich dir die 10€ erst in 10 Jahren zurückgebe, so vermutlich schon eher. Und wenn ich dir sagte, dass ich dir in 10 Jahren 25€ zurück gebe, so würdest du wieder einwilligen. Je mehr ich dir zurückgebe, desto eher würdest du vermutlich zusagen.

Deine Zeitpräferenzrate würde, so die Österreichische Schule, einerseits erklären, warum man überhaupt Zinsen nimmt und anschließend auch den Punkt erklären, wo dieser Handel stattfindet. Willigst du ein, so präferierst du, später zu konsumieren. Findet der Deal nicht statt, so stimmt die Zeitpräferenz nicht mit der veranschlagten Gegenleistung überein und du möchtest lieber die 10€ jetzt als die 25 in 10 Jahren.

Dies ist eine psychologische Erklärung für Zins. Sie ist abhängig davon, dass man nicht einfach schenkt, sondern vielmehr eine Gegenleistung erwartet. Weiters ist sie an ein Knappheitsdenken gebunden. Sie funktioniert nur, wenn wir mit knappen Dingen handeln. Wobei die österreichische Schule ja davon ausgeht, dass wir nur handeln, wenn Dinge knapp sind und Zustände verändern wollen. Diese Voraussetzungen kann man selbstredend hinterfragen.

Was jedoch diese Erklärung aufmacht, ist die Möglichkeit für nichtmonetäre Zinsen. Denn nun können Zinsen überall dort aufkommen, wo Leistung und zeitversetzte Gegenleistung auftauchen. Und, um dem durchaus vorhandenen Determinismus der österreichischen Schule zu folgen, auch auftauchen werden. Zinsen werden also überall dort auftauchen, wo zeitversetzt gehandelt wird. Selbst, wenn man ein anderes Geldsystem einführte, würden Zinsen in versteckter Form entstehen. Verwendete man einen Negativzins für das offizielle Geld, so würde dieser durch die Verwendung alternativer Mittel umgangen.

Ob die Österreicher damit Recht haben oder nicht, kann sich nur in der Empirie zeigen. Es scheint zumindest einer der generell zu beobachtenden Kritikpunkte am islamic banking zu sein, dass auch dort das Zinsverbot umgangen werde. Ich denke, dass die Erklärung des Zinses durch die Österreicher durchaus zu beachten ist und bei der Konzipierung alternativer Geldkonzepte mitgedacht werden muss, um nicht überrascht zu werden, dass selbst bei zinslosem Geld irgendwo Zinsen einberechnet werden, wenn auch in anderer und versteckter Form.

Kommentare

  1. Spannend, wenn man diesen Artikel dazu liest: Negativzinsen

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  2. Der Zins ist kein monetäres Phänomen, sondern eines der menschlichen Gier. Wir borgen doch meistens nur Geld her, das wir übrig haben, nicht benötigen, somit ist Knappheit hier kein Argument. Und weil wir gierig sind, möchten wir mehr zurück, als wir gegeben haben. Es gibt sogar Menschen, die innerhalb der Familie Zinsen verlangen und das ganz normal finden.

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